Nachrichten aus der Görzker Geschichte

Nachrichten aus der Görzker Geschichte

 

1939 - Neue Straßennamen für Görzke ?

 

Mit den Herrschern im Staate wechselten, vornehmlich in den Städten, oftmals auch die Bezeichnungen von Straßen und Plätzen. So ist es sicher nicht selten, daß die Straßenschilder mit den Namen deutscher Monarchen zu den Protagonisten des dritten Reiches wechselten und diese wiederum von Mitgliedern des DDR-Politbüros abgelöst wurden, welche inzwischen auch schon wieder ausgewechselt sind. Möglicherweise hat sich in Einzelfällen sogar der Kreis zum deutschen Kaiser oder einem seiner Generäle geschlossen.

 

Görzke wurde, mit einer Ausnahme von diesen Wechselfällen der Geschichte verschont. Diese Ausnahme, die damalige Poststraße (heute August-Bebel-Straße) stand vor nunmehr rund 80 Jahren erstmals auf der Tagesordnung. Am 29. Juli 1939 hatte der Görzker Gemeinderat über eingegangene Vorschläge zur Änderung der Straßennamen zu beraten und man stellte fest: „Aus Gründen der Verkehrserleichterung hat sich die Umbenennung der Straßen als notwendig erwiesen. Besonders die Poststraße und die Wiesenburger Straße entsprechen nicht ihrer Bezeichnung. Ferner sollen die Oberhof- und Obertorstraße, um Verwechslungen zu vermeiden, umbenannt werden.“

 

Zunächst wurde über die Wiesenburger Straße verhandelt: Im 16. Jahrhundert erfolgte im Zuge eines Erbvertrages der Familie von Schierstedt die Aufteilung des Ortes in drei Gutsbezirke. Der Oberhof, also das Grundstück des heutigen Gasthofes „Zur Burg“ war Sitz des Edelmannes über das „Rittergut Görzke, 1.Antheil“. Dies hatte zur Folge, daß sich mit der Zeit für das damals noch unbebaute Gebiet der heutigen Reetzer Straße und der Wiesenburger Straße der Flurname „Hinter dem Edelhof“ einbürgerte. In Anlehnung daran sollte 1939 die Wiesenburger Straße, die ja nicht direkt in die Richtung Wiesenburg zeigt, den Namen „Edelhof“ oder „Hinter dem Edelhof“ erhalten.

 

„Für die Oberhofstraße (Postplatz inbegriffen) käme die Benennung „Meierei“ in Frage, da das Grundstück des Tischlers Gommert, gegenüber der Post, die Meierei oder Brauerei, eben das Wirtschaftsgebäude des Edelhofes darstellte.“

 

Die Bezeichnung „Am Waldemartor“ zog man 1939 für die Obertorstraße in Erwägung. Gastwirt Böhme hatte Jahre zuvor  seinen „Gasthof zum deutschen Kronprinz“ umbenannt in „Gasthof zum Waldemartor“ und nun sollte auch der Straßenname auf das historische Geschehen des Jahres 1355 bezogen werden. Damals beanspruchte der sogenannte Falsche Waldemar die Markgrafenwürde in Brandenburg. Nach seiner Niederlage verließ er durch das obere Görzker Stadttor die letzte vor der Grenze nach Anhalt gelegene märkische Stadt. Jahrelang währende politische Verwicklungen und Intrigen, in deren Folge die Stadt Görzke zeitweise in die Reichsacht geriet, ließen die Person des längst totgeglaubten Markgrafen Waldemar zu einer schillernden Figur im Brandenburg seiner Zeit werden.

 

„Für die Chausseestraße wurde der Name „Flämingstraße“ in Vorschlag gebracht mit der Begründung, daß in den neu herauskommenden Wanderkarten Görzke als lohnendes Ziel für Flämingwanderungen betitelt ist, und die jetzige Chausseestraße in den hohen Fläming führt.“

 

Die Annahme der damals eingebrachten Vorschläge hätte lediglich zur Folge gehabt, daß die durch die Görzker Geschichte entstandenen Namen durch andere, ebenso entstandene, ersetzt worden und vermutlich mehr Aufwand und Irritation als Nutzen entstanden wäre.

 

Für die Poststraße lagen 1939 keine Alternativen vor. Seit über 35 Jahren befand sich das Postamt zu jener Zeit schon nicht mehr in der Straße. Ob sich der Name heute als Erinnerung an die Entwicklung des Postwesens im Ort wieder rechtfertigen lassen würde, sei dahingestellt; in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war der Abstand zum Vergangenen offensichtlich noch zu gering, um den historischen Fakt zu bewahren. - Über die, nach dem zweiten Weltkrieg erfolgte Umbenennung in August-Bebel-Straße gibt es ganz sicher geteilte Meinungen. Wenn man zu Grunde legt, daß August Bebel keinerlei Beziehung zu Görzke hatte, und es fraglich ist, ob der Straßenname in einem märkischen Ort der von den Namensgebern angedachten Bedeutung Bebels gerecht werden kann, könnte dieser Straßenname - und damit sind wir wieder am Ausgangspunkt unserer Betrachtung – allerdings auch irgendwann in einen Kreislauf von Änderungen geraten.

 

Dies muß aber nicht zwingend geschehen, denn außer der Poststraße haben auch andere Görzker Straßen, wie die Grüne Straße (1569, vermutlich Breite Straße), das Loburger Tor (teilweise Untertorstraße), die Hinterste Straße (Burgstraße), die Schmale Straße (später Poststraße, August-Bebel-Straße), die Magdeburger Straße (Untertorstraße) und der Rote Strumpf (Angerstraße) ihre einstigen, frühen Namen abgelegt und sind uns allen seit vielen Jahrzehnten unter ihrem jetzigen Namen bekannt.

 

Jürgen Bartlog

 

 

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Nachrichten aus der Görzker Geschichte

 

Der Einzug technischer Neuheiten: Rundfunk

 

Die alte Volksweisheit „Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus“ trifft auch auf die Fortentwicklung von Technologien sowie auf die vielen mehr oder weniger nützlichen Erfindungen der Vergangenheit zu. Wie gedankenlos heute viele Dinge von uns genutzt werden, weil sie alltäglich und selbstverständlich geworden sind, aber in den Kindertagen unserer ältesten Zeitgenossen noch aufsehenerregend und neu, ja fast exotisch wirkten, kommt uns nur zu Bewußtsein, wenn wir Zeugnisse und Berichte aus jener Zeit näher betrachten …

           

Mit der Elektrifizierung Görzkes zu Beginn der 1920er Jahre fand auch der Rundfunk Eingang in unseren Ort. Am 21. März 1924 wurde den Einwohnern in einer öffentlichen Veranstaltung ein Radioapparat vorgeführt. Wie Zeitzeugen schriftlich festhielten, „haben die Vergeßlichkeit des Vorführers und der andauernde Frost ein Versagen der sonst so vorzüglichen Apparate verursacht, was bei den Versammelten eine gereizte Stimmung hervorrief, die sich in verächtlichen Ausdrücken und Hohnlachen äußerte.“ Nachdem alle Gerätschaften daraufhin von dem Görzker Elektriker Siegfried Zimmermann auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüft worden waren, unternahm der Vorführer einen erneuten Versuch, die Görzker von der Qualität der Radios zu überzeugen. „Abseits vom Verkehr, hoch über den elektrischen Freileitungen, welche den Empfang auch beeinflußten, hat er seine Antenne im Glockenstuhl des Kirchturms eingebaut.“

 

1929 enthielt das Sortiment der Elektrofirma Zimmermann & Dornbusch, Breite Straße 18 bereits „Radioapparate modernster Ausführung“. Zwar bestand durchaus Interesse, aber der große Durchbruch war dem Rundfunk noch nicht gelungen. Um dies zu ändern, fand am 21. Februar 1929 im Hotel Räck, Breite Straße 136 ein Werbeabend der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft statt, bei dem sich die Anziehungskraft dieser Neuheit bestätigte, denn der Saal konnte die erschienenen Zuschauer bzw. Zuhörer kaum aufnehmen. „Jeder, der noch kein Rundfunkgerät im Hause hat, ging mit dem Wunsche heim: Solch ein Ding mußt du auch haben, dann erfährst du stets das Neueste aus der Welt, ohne daß du den warmen Ofen verlassen mußt.“

           

Tatsächlich zeigt ein Blick auf das Programm des Deutschlandsenders von 1934, daß von 5.45 Uhr bis Mitternacht, trotz sich verstärkender ideologischer Berieselung, ein durchaus abwechslungsreiches Programm geboten wurde. Neben dem Wetterbericht für die Landwirtschaft, der Frühgymnastik und dem Spruch zum Tage sendete man tagsüber  Kindersendungen, Glückwünsche, Ratgeber für den Haushalt, Information aus Politik und Wirtschaft, Sport und Unterhaltungsmusik. Ein abendliches Hörspiel, Orchestermusik und die Spätmusik beendeten den Radiotag.

           

Als erstes Görzke „Fachgeschäft für Rundfunkapparate“ eröffnete Alfred Grütze am 18. Februar 1937 sein „Radio- und Elektrohaus“ in der Obertorstraße 124.  Im Dezember zog er in die Poststraße 158. Neben dem Verkauf bot er auch die Reparatur der Geräte an. Ergänzend zu dem Hinweis, daß es gar keinen Grund mehr gäbe, mit der Anschaffung eines Rundfunkapparates zu warten, da dieser auch auf Teilzahlung erhältlich wäre, brachte Alfred Grütze 1937 in einer Zeitungsofferte seine Überzeugung zum Ausdruck, „daß die diesjährigen Geräte das Beste sind, was es je gab und was wohl erreichbar ist. - Wesentliche Neuerungen und Verbesserungen sind nun nicht mehr zu erwarten.“

 

Jürgen Bartlog

 

 

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Nachrichten aus der Görzker Geschichte

 

Der Einzug technischer Neuheiten in Görzke: Fernsehen

 

 

Als Startdatum des Fernsehens in Deutschland gilt zwar der 31. August 1928, aber erst seit Mitte der dreißiger Jahre waren die technischen Voraussetzungen für eine nennenswerte Verbreitung von Fernsehbildern über Sendetürme tatsächlich gegeben. Der zweite Weltkrieg und die Probleme der Nachkriegszeit verzögerten die gesamte Entwicklung. Das, was bis heute alltäglich und selbstverständlich geworden ist, war in jenen Jahren noch Luxus.

 

In der Bundesrepublik wurde das erste regelmäßige Fernsehprogramm der Nachkriegszeit 1951 ausgestrahlt. Der Sendebetrieb in der DDR begann 1952. Wohl kaum jemand hätte damals die Prognose gewagt, daß wenige Jahrzehnte später nahezu in jedem Haushalt ein oder mehrere Fernsehgeräte in Betrieb sein würden.

 

In Görzke stand man, wie die „Märkische Volksstimme“ am 19. Februar 1956 berichtete, „lange Zeit dieser technischen Errungenschaft mit Skepsis gegenüber.“ - Nachdem anfangs nur in zwei Wohnungen der Bildschirm flimmerte, „sieht man nun eine Fernsehantenne nach der anderen emporwachsen, und jetzt sind es schon 10 Görzker, die ein Fernsehgerät ihr eigen nennen.“

 

Die Statistik des Jahres 1966 zählte bereits in jedem zweiten Haushalt ein Fernsehgerät. Der Vormarsch der Unterhaltungstechnik schien sich nicht mehr stoppen zu lassen und seinerzeit auch gegen Dinge, die aus heutiger Sicht unentbehrlich sind, für Jahre als Sieger hervorzugehen, denn nur jeder vierte Görzker Haushalt verfügte 1966 über einen Kühlschrank oder eine Waschmaschine.

 

Überschattet vom politischen Geschehen zwischen den beiden deutschen Staaten, begannen für die ersten Besitzer von Fernsehgeräten in der DDR sehr schnell unsichere Zeiten. Insbesondere im Jahr der Errichtung der innerdeutschen Grenze war es nicht angeraten, über Sendungen westlicher Stationen öffentlich zu sprechen. - Zu einer direkten Gefahr wurde es 1961 für den damals 45jährigen H.M. aus Görzke. Er mußte sich vor Gericht dafür verantworten, seine Meinung über das Gesehene öffentlich geäußert zu haben. Die geringe Verbreitung der Fernsehgeräte hatte zur Folge, daß die Besitzer auch Nachbarn und Bekannte an ihrem Fernsehglück teilhaben ließen. Dazu berichtete am 8. September 1961 die lokale Presse:

„Er genehmigte, daß auch andere Bürger in die schwarze Röhre seines Fernsehgerätes sahen. Es genügte ihm nicht, sich selbst die Augen zu verderben und das Hirn zu verkleistern, sondern andere sollten auch zu Werkzeugen der Militaristen gemacht werden … Deshalb muß ihm Nachhilfeunterricht erteilt werden … Der Fernseher ist in seinem eigenen Interesse sichergestellt.“ - Das Hören des RIAS und das West-Fernsehen machten ihn, verbunden mit einigen unbedachten Äußerungen also, wie man dem Zeitungsleser mitteilte „zum Verbrecher an unserem Staat und am Frieden.“

 

Abgesehen davon, daß in einigen geographisch ungünstigen Lagen der DDR nur eingeschränkter Fernsehempfang möglich war, hatte der Zuschauer hierzulande insbesondere zum Sendestart des ZDF im Jahr 1963 technische Probleme zu lösen, wenn er den eigentlich ja verbotenen neuen Sender empfangen wollte. Die älteren Leser werden sich erinnern, daß die ersten, von findigen DDR-Rundfunkmechanikern gebauten Zusatzgeräte, die uns das zweite Westprogramm ins Haus brachten, äußerlich zwar sehr improvisiert aussahen, aber ihren Zweck erfüllten. Um die häufig schwankende Bildqualität zu stabilisieren, war es anfangs möglich (besser gesagt: nötig), die im Zimmer verlaufenden Leitungen zur Antenne mit einem Silberpapier aus Schokoladentafeln zu umwickeln und nach Bedarf zu verschieben. - Ein rauschfreier Empfang ohne durch das Bild laufende Querstreifen war aber auch damit nicht immer garantiert.

 

Jürgen Bartlog

 

 

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Nachrichten aus der Görzker Geschichte

 

Die Konservenfabrik

(1. Teil)

 

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts läßt sich die Spur des „Materialwarenhändlers Hermann Christ“ in Görzke zurückverfolgen. Jahrzehntelang hielt er stets auf Lager: „Eisen in allen Dimensionen, Stahl vom gewöhnlichsten bis zum feinsten Silbermünz, Thal'sche Wagen- und Pflugachsen, gebohrte Buchsen, geschmiedete und gußeiserne Herd-und Ofenplatten, Kochmaschinen, Decimalwaagen zu den solidesten Preisen. - Gleichzeitig mache ich aufmerksam, daß ich im Besitz einer Wagenreifen-Biegemaschine bin und auf Wunsch Reifen zu jeder Länge verkaufe und biege.“

 

Eine Kirschpresserei und eine Gastwirtschaft waren zusätzliche Einnahmequellen. Doch das neue Jahrhundert brachte dem Geschäftshaushalt in der Poststraße 163 (heute August-Bebel-Straße 163) eine Zwangsversteigerung, bei der 1901 unter anderem „ca. 45 000 Lit. Kirschsaft in Fässern, 5 leere Kirschsaft- Fässer, 1 Faß Cognak (ca. 158 Lit.) und ein Faß Rum (ca. 80 Lit.)“ unter den Hammer kommen sollten. Nachdem die Konkursgläubiger im Juni 1902 einer Verfahrenseinstellung zugestimmt hatten, nahm Hermann Christ jr. die Kirschpresse erneut in Betrieb, aber die Schulden lasteten wohl schwer auf dem Geschäft. Nur Teil-Grundstücksverkäufe und schließlich die endgültige Geschäftsaufgabe dürften wohl zur Tilgung der

Verbindlichkeiten geführt haben. - 1910 verkaufte er das „Eisenwaren-, Glas-, Porzellan-, Kolonial-, Zigarren- und Destillationsgeschäft mit der Spezialabteilung Tischlereibedarfsartikel“ in der Poststraße 163 an die Herren Paul Frühauf und Karl Kirsch. Letzterer schied nach kurzer Zeit aus, so daß Paul Frühauf bis 1933 alleiniger Inhaber war.

 

Die Kirschpresse, die sich in der Breiten Straße 129 befand, hatte Christ bereits im Juni 1907 an den Kaufmann Paul Allner verkauft: „Hierdurch beehre ich mich ergebenst anzuzeigen, daß ich die bisher von Herrn Hermann Christ betriebene Fruchtsaftpresserei käuflich erworben habe und in gewohnter Weise weiterführen werde. Neben Sauerkirschen werde ich auch andere Obstsorten, wie Himbeeren, Johannis-, Stachel- und Erdbeeren, Aepfel etc. verarbeiten. Ich werde mich bestreben, durch Realität und Bewilligung der Marktlage entsprechend höchster Preise mir volles Vertrauen bei meinen Lieferanten zu erwerben und bitte höflichst um gefl. Unterstützung meines Unternehmens. Paul Allner.“ (Anzeiger für Görzke“)

 

Das Grundstück Poststraße 166 kaufte Allner als Wohngrundstück. Mit seiner Etablierung in Görzke begann der eigentliche Werdegang einer größer und professionell angelegten Obstverarbeitung in unserem Heimatort, denn das, was Kaufmann Christ bisher mit einem von mehreren Standbeinen seines Unternehmens produziert hatte, sollte sich durch die Spezialisierung in den darauffolgenden Jahren zu einem durchaus lohnenden Geschäft entwickeln; und das nicht nur für den Fabrikanten: „Görzke, 21. Oktober 1909. Dieses Jahr ist für das Wachstum der Pilze ein besonders Günstiges. Nachdem Unmengen von Jäderlingen von hier aus zum Versand gekommen sind, hat jetzt die Haupternte der Stein- oder Herrenpilze begonnen. An manchen Tagen werden bis zu 50 Ztr. von hier aus zur Bahn befördert, um in Potsdamer Konservenfabriken verarbeitet zu werden. Es erwächst dadurch der ärmeren Bevölkerung ein beträchtlicherVerdienst; ist es doch schon vorgekommen, daß eine einzige Familie an einem halben Tage für 20 Mark Pilze einsammelte.“

 

Die großen Vorkommen an Waldfrüchten mögen dazu beigetragen haben, daß (vermutlich) noch vor dem ersten Weltkrieg auf dem Grundstück Chausseestraße 53, das ehemals die Fabrik des Töpfermeisters Friedrich Ludwig beherbergte, die erweiterte Verarbeitung von Obst und Gemüse in Angriff genommen wurde. Diese zweite Betriebsstätte im Ort wurde bald zum günstigeren Standort der Firma Allner, denn der enorme Bedarf an konservierten Früchten und Säften erforderte immer größere und modernere Betriebsstätten.

 

In den 1920er Jahren konnte man „an manchen Tagen bis zu 25 Gespanne, eines hinter dem anderen stehen sehen, alle vollbepackt mit Kirschen und las man die Wagenschilder, so konnte man sich einen Begriff davon machen, was alles nach Görzke kam, um seine Kirschen an den Mann zu bringen. Bis von Brück, Trebitz, Sernow, Loburg, Schweinitz usw. kamen die Anfuhren. Aus noch weiter entfernten Orten wie Zerbst, Lindau usw. besorgte das Lastauto der Firma Allner die Anfuhren selbst. An manchen Tagen betrug die Anfuhr 600 bis 800 Zentner. - Bald beginnt die Pflaumenernte, die ebenfalls eine Rekordernte wird, und aller Voraussicht nach wird sich in kurzer Zeit den Görzkern dasselbe Bild von neuem bieten.“ (Fortsetzung folgt)

 

Jürgen Bartlog

 

 

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Nachrichten aus der Görzker Geschichte

 

Die Konservenfabrik

(2.Teil)

 

 

Bereits mit dem Ankauf des ersten Görzker Grundstückes im Jahre 1907 ließ Allner diesen Teil seiner Firma als Handelsniederlassung führen. Eine Zweigniederlassung befand sich in Berlin-Charlottenburg. Während des ersten Weltkrieges schien es vorteilhafter zu sein, den Hauptsitz in Berlin zu haben, denn die Görzker Abteilung wurde als Zweigniederlassung eingetragen. 1920 änderte man das Handelsregister erneut: „Die Hauptniederlassung ist von Charlottenburg nach Görzke verlegt.“

 

Während die Firma in den Anfangsjahren einfach Marmeladenfabrik oder Konservenfabrik Paul Allner hieß, wies der Briefbogen in der Mitte der 20er Jahre aus: „Paul Allner Nahrungsmittelwerk G.m.b.H.“ Als Allner im Juli 1928 starb, hinterließ er die zur Versteigerung anstehende Firma „Mitteldeutsche Nahrungswerke Allner & Kuhn G.m.b.H. (MINAG)“.

 

Am 11. Dezember 1929 meldete der „Anzeiger für Görzke“: „Bei dem auf dem Amtsgericht Ziesar gestern erfolgten Verkauf der Paul Allner'schen Grundstücke in Görzke waren Meistbietende:

- für das Hausgrundstück Poststraße 166: Herr Tapezierer- und Sattlermeister Paul Lippert,

- für die Konservenfabrik an der Chausseestraße: die Stadtsparkasse Brandenburg/Havel.

- Auf das Fruchtpresserei-Grundstück in der Breiten Straße wurde kein Gebot abgegeben.“

 

Georg Sorke, Kaufmann in Berlin-Charlottenburg erwarb wenig später das Fabrikgelände in der Chausseestraße und veranlaßte umgehend einige bauliche Veränderungen: „So wird vom Bauunternehmer Albert Ballerstein (Angerstraße 110) ein Maschinenhaus mit einer Dampfkesselanlage errichtet. Später soll noch eine neue Wohnung geschaffen werden.“ - Das Konzept von Georg Sorke ging auf, und die Konservenfabrik wurde für die Görzker Wirtschaft über Jahrzehnte hinweg unentbehrlich.

 

In den Jahren des zweiten Weltkrieges war die Fabrik kaum noch in der Lage, die Verarbeitung aller anfallenden Früchte zu gewährleisten, denn Arbeitskräfte waren knapp. In der Saison 1941 begann man, verstärkt Heimarbeit bei der Zerkleinerung des Obstes zu nutzen. -  4000 Zentner Pilze, täglich bis zu 300, waren 1941 bereits zum 27. September verarbeitet worden. In 20-Zentner-Fässern lagerten sie, bereit zur Abholung durch Großabnehmer, wie u.a. auch die Wehrmacht.

 

Trotz dieser unvorstellbaren Mengen von Obst und Gemüse, die aus Gärten, Feldern und Wäldern von Görzke und der weiteren Umgebung herangebracht wurden, sah Sorke einen noch größeren Bedarf voraus. Um diesen zu decken und zugleich einen Ausgleich in Jahren mit geringen Erntemengen selbst erbringen zu können, ließ er rechts der Straße nach Brandenburg 44 000 Himbeersträucher anpflanzen. Diese und andere im Entstehen begriffenen, sowie die früher bereits bestehenden Plantagen ließen 1942 die Lokalpresse schon von der „Obstbaustadt Görzke“ sprechen.

 

Um Görzke zu einem Zentralpunkt für den Anbau von Erdbeeren, Gemüse und besonders Beerenobst zu machen, fanden Lehrgänge statt, die von Teilnehmern aus der näheren Umgebung bis Ziesar, aber zum Beispiel auch aus Dörnitz und Leitzkau besucht wurden ... Doch der Krieg und die Nachkriegszeit zerschlugen auch hierbei so manchen Plan.

 

Bis 1953 konnte Sorke den Betrieb noch führen. Dann wurde die Firma ins Volkseigentum vereinnahmt. Als „VEB Konservenfabrik und Fruchtsaftpresserei Görzke“ produzierte man, zuerst ausschließlich in Görzke, später auch im Werk 2 Borkheide, Obstsirup, Obstkonserven und Säfte, Gurken- und Rohkonserven.

 

Ab 1962 wurden in den Betriebsräumen die technischen Voraussetzungen zur Speiseölabfüllung geschaffen. Flaschen zu 125, 250 und 500 Gramm standen auf dem Plan. Im Juni 1964 verursachte ein Feuer in den Produktionsräumen erheblichen Schaden, was die Einstellung der Produktion zur Folge hatte und dreißig Arbeitsplätze vernichtete.

 

Auf Beschluß des Gemeinderates erfolgte der Wiederaufbau der Gebäude und die Weiterführung des Betriebes als Flaschenwäscherei. Schon im darauffolgenden Frühjahr war diese Übergangslösung beendet, denn mit dem 1. April 1965 übernahm der VEB Luwal Luckenwalde das Betriebsgelände. Noch im gleichen Jahr konnten 19 Arbeitskräfte mit der Herstellung von Hausschuhen in unterschiedlichen Formen und verschiedenen Materialien beginnen. - Die großen Veränderungen, die Jahre später der Niedergang der DDR mit sich brachte, führten zur Einstellung der Produktion und zum Leerstand der Betriebsräume. Eine nochmalige effektive Nutzung  für rund zehn Jahre zog mit der „Chronimax Metallverarbeitung GmbH“ ein, die bis 2011 an diesem Standort hochwertige Kücheneinrichtungen produzierte.

 

In der Rückschau und zusammenfassend, kann man feststellen, daß von dem Grundstück Chausseestraße 53 b, das ursprünglich eine Töpferei war, maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung für Görzke und Umgebung ausging, sowohl von der Hausschuhproduktion als auch von der Konservenfabrik, der einst eine große Zukunft bevorstand.

 

Jürgen Bartlog

 

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Nachrichten aus der Görzker Geschichte

 

Von Rennfahrern und Wunderkindern im Ballsaal

 

Ein Blick zurück auf das kulturelle Angebot für Görzke im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts offenbart zum Teil erstaunliche Leistungen, technische Neuheiten jener Zeit und Kuriositäten. Neben Naturtalenten und echten Könnern mag wohl auch manch Scharlatan unter den Künstlern gewesen sein, die ihr Publikum zum Staunen, Lachen oder Weinen bringen wollten. Orte des Geschehens waren die Festsäle der Häuser:

„Zum Schwarzen Adler“     Raeck                     Breite Straße 136

„Zum Goldenen Stern“       Kiesel (ab 1935)      Poststraße 181

„Deutsches Haus“              Baesen                    Oberhofstraße 222

„Zur Burg“                        Brüning                   Oberhofstraße 261.

 

Zwischen den, nachfolgend mit nur wenigen Beispielen angedeuteten Höhepunkten waren eine Vielzahl von Tanzvergnügen, Konzerten und jahreszeitlich gebundenen Anlässen, wie Bockbierfeste, Maskenbälle, Silvestervergnügen sowie Vereinsfeste und Bälle an Markttagen willkommene Abwechslungen vom Alltag.

 

Am 2. Februar 1903 konnten die Görzker „wie durch Zettel näher bekannt gegeben“, eine technische Neuheit jener Zeit bestaunen, denn es fand am „Nachmittag und Abend im Raeck'schen Saale die Vorführung lebender Photographien statt.“ Der Veranstalter konnte durchaus versprechen, daß „ein jeder Besucher vollauf befriedigt sein“ wird, denn damals (als die Bilder laufen lernten) gehörte Kino tatsächlich zu „hier wohl noch nicht gesehenen Vorstellungen.“

 

Alles Mögliche und Unmögliche wurde in den Tanzsälen der Gastwirtschaften durchgeführt. Am 15. Januar 1910 war es „der große Zirkus UNION mit 40 dressierten Pferden und erstklassigem Künstlerpersonal“, der im „Goldenen Stern“ gastierte.

 

Im Gasthof „Zur Burg“ fand im Dezember 1922 eine Festwoche des „Radsportvereins Görzke“ statt, in der nicht nur Reigenfahren und andere Kunstradfiguren gezeigt wurden, sondern mittels verschiedener Hilfsgeräte auch „Radrennen auf der Bühne“ zu sehen war. Distanzen zwischen 1000 und 5000 m waren zu bewältigen. Mehrere Preise gingen an Teilnehmer aus Hannover, Magdeburg, Berlin und Zerbst. Einige Rennen „sahen als Sieger Hans Gramenz, Görzke, welcher auch die Wintermeisterschaft nach Hause trug.“ (Anm.: Mechanikermeister Hans Gramenz, Poststraße 151 b) - Ein 15 km-Rennen wurde „in der glänzenden Zeit von 11 min 57 sec zurückgelegt und von einem Berliner Fahrer gewonnen.“

1922/23 erhielt der Saal des Hotels „Zum Goldenen Stern“ in den Programmankündigungen den Beinamen „Theatersaal“. Allein für die Zeit zwischen August 1922 bis Februar 1923 lagen über zwanzig Termine für Volksstücke, Operetten, Schauspiele und Dramen fest.

 

Im gleichen Saal und auch im Gasthof „Zur Burg“ trat im Januar 1923 „der König der Gedankenleser Orlando di Lasso“ auf. Er versprach, die Zuschauer mit „Telepathie, Hypnose, Hellsehen und Magnetismus“ zu unterhalten und sagte demjenigen 50 000 Mark (Inflationszeit!) Belohnung zu, der ihm Geheimabsprachen oder verabredete Personen nachweisen könnte.

 

Ein echtes Wunderkind wurde am 21. Mai 1933 bei Brünings vorgestellt: „Das 13jährige Gotteswunder Helmut Lichterfeld ist kein Athlet. Er arbeitet lediglich mit Drüsenstörung.“ Für die Vorstellung hatte „der Schmiedemeister Herr Engel das gesamte Eisenmaterial zur Verfügung gestellt. Das Pferd, welches Helmut hochheben wird, stellt Herr Karl Seiler zur Verfügung“. (Anm.: Schmiedemeister Ernst Engel, Angerstraße 120 / Tonwarenfabrikant Karl Seiler, Reetzer Straße 2) – Als Bestätigung dieser unglaublichen Ankündigungen lagen „Papiere von in- und ausländischen Universitäten vor.“

 

Zwei Jahre später stand auf der gleichen Bühne der „größte Täuschungskünstler der Gegenwart Mara Bellachini“, der u.a. „das Verbrennen einer lebenden Dame bis zum Skelett“ ankündigte. Trotz des zweifelhaften Vergnügens an dieser Vorstellung, schien alles ein gutes Ende genommen zu haben, denn „seine fabelhafte Geschicklichkeit erntete reichen Beifall.“

 

Jürgen Bartlog

 

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Nachrichten aus der Görzker Geschichte

 

 

“Klar das Auge, fest die Hand ...“

 

Die Gründung der Görzker Schützengilde

 

Das Jahr 1850. - Noch sind die Unruhen der Revolution 1848/49 nicht vergessen, viel weniger sind die aufgeworfenen Probleme gelöst. Auch die Auswirkungen der Fremdherrschaft Napoleons zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind noch spürbar.

 

An der Grenzlinie der preußischen Provinz Sachsen zur Provinz Brandenburg liegt das Städtchen Görzke im Regierungsbezirk Magdeburg. Fest eingebunden in den Kreis Jerichow I. sind die Beziehungen in die Richtungen Belzig und Brandenburg fast bedeutungslos. Alle amtlichen und geschäftlichen Verbindungen laufen nach Ziesar, Burg, Magdeburg …

 

Auch die Görzker Schützen orientierten sich seinerzeit stark am benachbarten Ziesar. Die dort seit 1578 bestehende, zwischenzeitlich aufgelöste Schützengilde wurde nach dem Befreiungskrieg 1813/15 zu einer Wehrtruppe umgestaltet, der jeder Bürger fünf Jahre lang angehören mußte. Mit der Beseitigung dieses Zwanges im Jahr 1845 war der Weg für eine freie und freiwillige Vereinigung geebnet.

 

Dieses Vorbild, verbunden mir den, in jenen Jahren verstärkten Anstrengungen des damaligen „Allgemeinen Landes-Schützenbundes“, „das Schützenwesen als einen wertvollen Schmuck und Schatz des Bürgertums“ hervorzuheben, mögen 1850 zur Gründung der Görzker Schützengilde geführt haben.

 

Die Vereinigungen der Schützen, die einst den Rest der Waffenfähigkeit der Bürger aus dem Mittelalter herübergerettet hatten, verfolgten im 19. Jahrhundert zwar immer noch hauptsächlich den Zweck, „die möglichste Fertigkeit im Büchsenschießen zu erlangen“, doch war inzwischen mindestens gleichwertig, „den Sinn für's Allgemeinwohl und Bürgertum zu wecken und zu fördern und durch geselliges Beisammensein sich Erheiterung und Erholung zu schaffen.“

 

Das Statut des Jahres 1891 gestattete es jedem unbescholtenen Einwohner des Ortes über 24 Jahre, Mitglied der Schützengilde zu werden. Entsprechend der hohen Eintritts- und Beitragsgelder sowie der anzuschaffenden umfangreichen Ausrüstung blieb der Verein allerdings über lange Zeit hinweg den Geschäftsleuten, Handwerksmeistern und gutgestellten Bauern vorbehalten. - Für die Junioren der Schützen wurde am 11. August 1926 der Kleinkaliber-Schießclub „Gut Schuß“ gegründet.

 

Dieser, so wie auch der Schützenverein selbst, stellte mit Beginn des zweiten Weltkrieges den Übungsbetrieb und die Festlichkeiten vorübergehend ein. Nach dem Krieg war es in der sowjetischen Besatzungszone und in der frühen DDR-Zeit zunächst unmöglich, an die Wiederaufnahme von schießsportlichen Aktivtäten zu denken.

 

Mit der Entstehung einer Görzker Grundorganisation der, in der DDR flächendeckend etablierten „Gesellschaft für Sport und Technik“ (GST), unternahmen 1955 deren Begründer erste Versuche, die Tradition der Görzker Schützenfeste  fortzusetzen. Zielstrebigkeit und die Fähigkeit, die Grenzen des Möglichen auszuloten, ohne sie zu überschreiten, waren 1957 mit dem ersten Görzker Schützenfest nach dem zweiten Weltkrieg mit Erfolg gekrönt.

 

Den Stellenwert dieses Neubeginns zu ermessen, der mit der Überwindung politischer und ideologischer Hindernisse verbunden war (was damals vielerorts als unmöglich galt), wird manchem heutigen Zeitgenossen schwerfallen, der gewohnt ist, jederzeit und über alles frei entscheiden zu können, und dies als selbstverständlich ansieht.

 

Damals mag allerdings die Bewahrung und Fortführung dieses wesentlichen Details, das zur Görzker Geschichte gehört, ebenfalls nicht jedem als die große Leistung erschienen sein, als die sie heute zu sehen ist. 1957 gab es zwar allseits Erstaunen darüber, daß ein Heimatfest wie das Görzker Schützenfest wieder zugelassen wurde und etwas „von früher“ wiederauflebte, aber es war noch nicht absehbar, daß das alljährliche Görzker Schützenfest tatsächlich bis 1991 die einzige Veranstaltung dieser Art im Kreis Belzig bleiben würde.

 

Gründungsmitglieder wie Helmut Goldbach, Heinz Moritz, Walter Kreiseler, Horst Tepper und andere, insbesondere aber Horst Roßbach, haben mit ihrem persönlichen Einsatz über viele Jahre hinweg, besonderen Anteil am Aufbau und an der Festigung der Gemeinschaft. - Generationen von Sportschützen aus Görzke und der Umgebung folgten diesen Vorbildern.

 

Am 25. Mai 1990 stellten die Görzker Schützen den Anschluß an die alte Gilde her. Der an jenem Tag wiederbelebte Verein erhielt den Namen „Schützen-Verein zu Görzke 1850 e.V“

 

 

 

 

„Schützenfest in Görzke!“

1913

 

Dieser Ruf hat magische Anziehungskraft! - Seit jeher ist jung und alt zu diesem Anlaß in Görzke auf den Beinen. - Versetzen wir uns also zurück in die Zeit des beginnenden 19. Jahrhunderts und beobachten beispielhaft das Görzker Schützenfest des Jahres 1913:

 

Sonnabend, 5. Juli 1913

 

Das Schützenfest wird am Sonnabend Abend wie üblich mit dem Zapfenstreich, einem Trompetensignal, eingeleitet.

 

Sonntag, 6. Juli 1913

 

Der erste Tag des Festes, traditionell der erste Sonntag im Juli, ist der Tag des Vogelschießens. Er beginnt mit dem Weckruf, dem Trompetensignal, das die Schützen zum Sammeln ruft. Treffpunkt ist das Hotel „Deutsches Haus“ (Erich Baesen) in der Oberhofstraße 222.

 

Vor dem Ausmarsch zum Schützenplatz hält der Vorsitzende der Gilde eine kurze Ansprache, die mit einem Hoch auf den Kaiser schließt. Kurz nach 11 Uhr setzt sich der Zug der Versammelten in Bewegung, allen voran die Görzker Musikkapelle. Nachfolgend die ca. 50 Schützen in grünem Waffenrock, weißer Hose, grüner Mütze, dem schwarzen Koppel, mit einem Hirschfänger und natürlich der Schützenbüchse, die jedes Vereinsmitglied zu Haus aufbewahrt. In der ersten geschlossenen Reihe nach dem Hauptmann wird die Vereinsfahne mitgeführt. - Die Kinder begleiten begeistert den Zug auf beiden Seiten und die Erwachsenen stellen erste Prognosen über den zukünftigen Schützenkönig an.

 

Auf dem Schützenplatz wird der Vogel auf die Stange gesetzt und der erste Schoppen auf das gute Gelingen des Festes genommen. Um 14 Uhr beginnt der Kampf um die Würden des Vogelschießens. „Schon von der Gründung an wird am ersten Tage nach dem aus Holz gefertigten Vogel, der eine Flügelspanne von 1,5 Metern hat und auf einer starken Baumstange in der Höhe von 16 Metern befestigt ist, geschossen. An diesem Vogelschießen beteiligen sich die Schützenbrüder lebhaft, da ihnen für viele Teile des Vogels Geldprämien winken. Oft nach stundenlangem Schießen auf den Rumpf des Vogels wird nun die Königswürde ausgestritten, und sobald das letzte Stück Holz durch einen gut gezielten Schuß fällt, wird unter großem Jubel der Schützenkönig an dem stattlichen, großen Tanzzelt proklamiert.“

 

Der König des Vogelschießens muß anläßlich seiner Krönung natürlich auch selbst tief in die Tasche greifen. Das Abschießen der mittelsten Krone ist mit der Würde des Kronprinzen verbunden. Währenddessen geben sich Nichtschützen und Gäste des Schützenfestes, besonders aber die Kinder, dem fröhlichen Zeitvertreib hin. „Auf dem für solche Volksfeste wie geschaffenen Platz herrscht ein gemütliches und frohes Treiben. Die Gilde hat für allerlei Belustigungen für jung und alt bestens gesorgt. Fleißig benutzt wird besonders das schöne, große Tanzzelt. Die Kinderschar wirbelt um die Karussells, Würfel- und Zuckerbuden und all die kleinen Herrlichkeiten der jungen Welt.“

 

Montag, 7. Juli 1913

 

„Am zweiten Tage, nach einem Frühstück und schützenbrüderlichem Frühschoppen im Vereinslokal „Deutsches Haus“, bei dem auch heitere Ansprachen und Toaste gehalten werden, wird unter den Klängen des Marsches „Lützows verwegene Jagd“ wieder nach dem Schützenplatz marschiert, wo von nachmittags 4 Uhr ab nach der Scheibe geschossen wird. Unmittelbar nach der Proklamation des Scheibenkönigs, die sich an das Schießen anschließt, wird der Montagsball der Schützengilde im freien unter den großen schattigen Bäumen durch eine Polonaise eröffnet.“

 

Dienstag, 8. Juli 1913

 

Der große Ball am Dienstag Abend, beendet das Schützenfest. Diese Festlichkeit ist den Mitgliedern des Vereins und geladenen Gästen vorbehalten.

 

Jürgen Bartlog

 

 

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Nachrichten aus der Görzker Geschichte

 

 

Görzkes altehrwürdiges Straßenpflaster

 

 

Jeder kennt die Unannehmlichkeiten und Belastungen, die Bauarbeiten mit sich bringen. Sei es ein einfacher Umbau in den eigenen Wohnräumen oder die aufgerissene Straße vor dem Haus; man wünscht sich, daß morgen früh alles wieder so normal aussehen möge, wie es vorher immer gewesen ist. Der Eindruck, daß Straßenbauarbeiten heute mit stärkeren Belästigungen verbunden sind als früher, hängt sicherlich mit dem erhöhten Verkehrsaufkommen zusammen aber auch  mit dem Umstand, daß in Erinnerung an vergangene DDR-Tage die Erfahrung umfassender Straßensanierungen höchst selten in unserer Gegend zu machen war. Doch Umleitungen, Baukostenbeiträge oder Eigenleistungen sowie Belästigungen durch Lärm, Schmutz und Erschütterungen sind keine Erfindungen unserer Tage.

 

Beginnen wir unsere Rückschau auf die Anfänge der Straßenbauten in Görzke mit einem besondern Kapitel der Tiefbau-“kunst“: der Burgstraße, die im 19. Jahrhundert als eine der drei parralel verlaufenden Straßen des Stadtplans Hinterste oder Hinterstraße genannt wurde.

 

Im Bericht des Burger Bau-Inspektors Reusing an den königlichen Geheimen Regierungsrat von Münchhausen in Leitzkau heißt es 1845 dazu, daß die ganze sog. Hinterstraße 1843-45 neu gepflastert worden war, sowie „im Lauf dieses Sommers schon zum Theil zum zweiten Male umgepflastert ist“ und sich an einigen Stellen zwar „mittelmäßig gut an anderen aber in hohem Grade schlecht befindet“.

 

Nach jahrelangen Schuldzuweisungen und Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem damaligen Gutsherren und den Behörden bescheinigte der Kreisbaumeister 1883 (!), daß das Pflaster „so hinfällig ist, daß eine Neu- resp. Umpflasterung baldigst efolgen muß“. Zugleich erging die Aufforderung an den Rittergutsbesitzer von Schierstädt und den Kammerherrn von Goldacker, „die Umpflasterung hochgeneigtest veranlassen zu wollen, weil Eure Hochwohlgeboren als Besitzer der Rittergüter Görzke Antheil I, II und III die Verpflichtung der Instandhaltung obliegt, mit dem Bemerken, daß die Gemeinde Görzke die erforderliche Hand- und Spanndienstleistung übernimmt.“ - Die Bauern, die Gespanne mit Pferden oder Rindern besaßen, hatten die Spanndienste zu leisten. Die Ärmsten der Landbevölkerung (Büdner) und die Kleinbauern (Kossaten) ohne Spannvieh, mußten sich für Handdienste beim Bau bereithalten.

1875 begann der Ausbau der Kreis-Chaussee Hohenziatz – Görzke – Wiesenburg. Die direkte Verbindung von Görzke nach Wiesenburg wurde gesperrt. „Fuhrwerke haben den Weg über Reetz oder Arensnest einzuschlagen.“ Nach der Fertigstellung 1878, nahm man diese Strecke in das Verzeichnis der Straßen auf, „auf denen der Gebrauch von Radfelgen unter 10,5 cm Breite für alles gewerbsmäßige Frachtfuhrwerk verboten ist“, und die Lokalpresse schrieb: „Mit den schlechten Wegen hat es ein Ende genommen! Wir haben eine prächtige Chaussee nach Magdeburg und ebenso nach Wiesenburg ...“

 

Noch aber wurde von Durchreisenden Wegezoll erhoben. Die Hebestelle Richtung Wiesenburg befand sich im Wohnhaus Chausseestraße 98, das noch heute durch die hervortretende Gebäudefront auffällt. Vor dem Haus befand sich ein Schlagbaum. „Die Chausseegeld-Hebestellen im Kreis Jerichow I werden am 1. April 1894 sämtlich aufgehoben.“ Kommentar eines Journalisten jener Zeit: „Damit fällt abermals ein alter Zopf.“

 

In der Richtung nach Ziesar sah es 1879 noch „traurig wegen der sandigen und löcherigen Wege aus“. Die beginnenden Pflasterungen dieser Trasse waren zehn Jahre später, 1889  auf der Görzker Gemarkung noch nicht ganz abgeschlossen. Es ist nicht bekannt, ob es während der Bauzeit zu Verzögerungen durch einen Einspruch kam, über den am 4. April 1888 der „Anzeiger für Görzke“ berichtete: „Der Gemeindevertretung wurde eine Petition hiesiger Bürger vorgelegt, die es für zweckmäßig halten, die neu auszubauende Trasse der Chaussee von Ziesar nach Görzke so zu legen, daß die Chaussee westlich an Schönthal-Mühle vorbei nach dem Unterthore zuführt, wodurch die Strecke billiger und für unseren Ort vorteilhafter werden soll.“

 

Die Verlegung dieser überregionalen Verbindung bis an das Untertor scheint nur wenig Anhänger gefunden zu haben, denn im Juni 1888 wurde verkündet: „Die Kreischaussee von Ziesar nach Görzke bekommt Anschluß an den Kreuzungspunkt der Chausseen nach Wiesenburg und Brandenburg.“ - Eine fast unscheinbare Meldung, und doch bedeutsam für die heute vorhandene Ausdehnung des Ortes, und für die Erkenntnis, wie sehr unsere Vorfahren unser heutiges Lebensumfeld vorbestimmt haben.

 

1883 führte wegen des Baues der Kreis-Chaussee Görzke – Grüningen eine Umleitung durch die Nonnenheide. - Im September 1885  wurde wegen Neupflasterung der Breiten Straße „die Passage in derselben für Lastfuhrwerke bis auf weiteres gesperrt“.

 

1889 wagte man sich erneut an die Burgstraße. „Es wird aber zunächst 2/3 der Straße fertiggestellt.“ - Der sichtbar und fühlbar ungenügenden Pflasterung wurde Jahrzehnte später nach Ende des zweiten Weltkrieges durch schwere Militär-Kettenfahrzeuge der Rest gegeben und die Teilöffnungen der Straßendecke für die infrastrukturelle Erschließung nach 1990 tat ein Übriges. Erst 2007, mit Abschluß einer grundhaften Sanierung erreichte man ein, für eine Pflasterstraße befriedigendes Ergebnis. - Das Beispiel Burgstraße zeigt, daß die Erneuerung einer Straße tatsächlich schon mal über 160 Jahre dauern kann. Mit diesem Wissen sollte man meinen, daß wir, die heutigen Anwohner von Straßen, in den Bauarbeiten stattfinden, die landläufig üblichen Belästigungen und Verzögerungen mit großer Gelassenheit hinnehmen können.

 

Im September 1899 wurde die Angerstraße neu gepflastert. - 1907 folgte die Kirchstraße. - Im Juni 1911 „wird die Chaussee bei der Molkerei mit einer neuen Decke versehen. Auf dieser Strecke ist die Dampfwalze in Tätigkeit.“ Dieses, seinerzeit vielbestaunte Fahrzeug war ab September dann auf der Chaussee nach Neuehütten im Einsatz. - Die Poststraße erhielt 1912 Straßenpflaster und die dortigen Bürgersteige die sog. Mosaik-Pflasterung.

 

1914 begannen die Bauarbeiten an der Straße nach Benken, die sich durch die Kriegsjahre und die Überschreitung der Kreisgrenzen bis in die Mitte der 1920er Jahre mit diversen „Verbesserungsarbeiten“ erstreckten. - 1930 erhielt die Brandenburger Straße eine Teerdecke. - Bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges gingen die Chausseen nach Hohenlobbese und nach Reppinichen in Bau, die zum Teil mit Arbeitsbeschaffungsprogrammen ausgeführt wurden.

 

Man sollte annehmen, daß Straßenbauarbeiten angesichts der übermäßig großen Probleme der Nachkriegszeit zunächst in den Hintergrund rückten aber bereits ab 1949 und besonders in den 1950er Jahren erfolgte die Neu- oder Umpflasterung von Teilstrecken in der Breiten Straße, Oberhofstraße und Weinbergstraße. Die Ausführung erfolgte mittels Arbeitsteilung zwischen Tiefbaufirmen und einem großen Anteil von Eigenleistungen der Einwohner. Für zwei Sonntage im März 1957 registrierte man „130 Helfer, 16 bäuerliche Gespanne und 4 Traktoren mit je 2 Hängern“.

 

Ende der 1950er Jahre erfolgte die Befestigung der Gartenstraße mit Autobahn-Betonplatten. Ebenfalls Beton wurde später für Teile der Arensnester Straße und des Nonnenheider Weges verwendet.

 

Mit der Sanierung der Bundesstraße 107 in der Ortslage, Ende der 1990er Jahre, die der Auftakt zur Sanierung fast aller Straßen im Ort war, hatte die Ruhe vor dem Sturm ein Ende gefunden. Die meisten der Ortsstraßen erhielten seitdem neue Fahrbahnmaterialien oder einen historisch-erneuerten Straßenbelag mit altehrwürdigen Görzker Pflastersteinen. - Wie gesagt: Die meisten ...

 

Jürgen Bartlog

 

 

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Nachrichten aus der Görzker Geschichte

 

 

Sandmann-Puppen

made in GDR, in Görzke

 

 

Der Produktionsbetrieb in Stichpunkten

 

Am 21. Dezember 1918 gab das Amtsgericht Ziesar bekannt: „In das Handelsregister A ist heute unter Nr. 144 die Firma Karl Seiler, Keramische Erzeugnisse, in Görzke eingetragen.“

 

Mit dem Erwerb der Werkstatt des im ersten Weltkrieg gefallenen Töpfermeisters Wilhelm Schulze jun., legte Karl Seiler in der Reetzer Straße 2 (als Werk I bezeichnet) den Grundstein zum Aufbau einer in Görzke noch nie dagewesenen Großproduktion von traditionellem Braungeschirr.

 

Als zweite Betriebsstätte übernahm er wenig später die Töpferei Franz Ludwig in der Chausseestraße 55. Dieser Betriebsteil, in dem er Feinsteinzeug, Kunsttonwaren und Terrakotten (hauptsächlich als Bauornamente benutzte Tonfabrikate) herstellen ließ, wurde zu Werk II.

 

Auf beiden Grundstücken entstanden neue Werkstattgebäude für die Produktion keramischer Erzeugnisse. Da die Töpferwaren mit eigenen Lastkraftwagen im Umkreis bis 250 km zu den Großhändlern transportiert wurde, rentierte sich auch die auf dem Hof des Werkes II errichtete Tanksäule. Diese Betriebstankstelle der Marke Aral war eine von sechs im Ort befindlichen öffentlichen Tankstellen, die zumeist ledigliglich aus einem versenkten Tank und einer Säule bestanden.

 

Karl Seiler, dem 1932 auch die Geschäftsführung der Görzker Töpfer-Innung übertragen wurde, belegte seit Mitte der 1930er Jahre regelmäßig einen eigenen Stand auf der Leipziger Messe.

 

Die Betriebsgröße wurde der Firma, nach Ende des zweiten Weltkrieges in der sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR gelegen, zum Verhängnis. Mit einem politisch zielführend angelegten Gerichtsverfahren und unter Anwendung fadenscheiniger Klagepunkte erging ein Beschluß, aufgrund dessen am 1. Februar 1953 die Enteignung und die Übergabe an einen Treuhänder erfolgte. Beide Werkteile wurden am 1. Januar 1954 als VEB Tonwarenfabrik in DDR- Volkseigentum vereinnahmt.

 

Die Umstrukturierung des Betriebes begann mit dem eingesetzten neuen Werkleiter Willi Nichelmann und 13 Arbeitern. Noch im Jahr 1954 stieg der Personalbestand auf 46 Beschäftigte, die traditionelles Görzker Braungeschirr im Wert von 360 000 Mark produzierten. Parallel dazu begann die Produktion von Puppen.

 

In den Folgejahren erforderten zunehmende Absatzschwierigkeiten im Bereich der Tonwaren eine Umstellung bzw. Erweiterung der Angebotspalette. 1959 waren alle Umbauten zur Herstellung von Kanalisations-Steinzeugrohren abgeschlossen, aber bereits 1963 war der Absatz nicht mehr gewährleistet. Kanalisationsrohre aus PVC, die anderenorts in steigender Zahl produziert wurden, wiesen einen höheren Gebrauchswert und bessere Verarbeitungseigenschaften auf.

 

Aufgrund einer Bedarfsanalyse zeichneten sich zur gleichen Zeit vielfältige Verwendungsmöglichkeiten für glasierte Baukeramik ab. Das ausgewählte Produkt, die „Spaltplatte“ bestand aus jeweils zwei Fliesen in den Maßen 11,5 x 24,0 cm, die an den Innenseiten durch Sollbruchstellen verbunden waren und vor dem Einbau an Ort und Stelle leicht getrennt werden konnten.

 

Ab 1962 entstanden für die Produktion der Spaltplatten im Werk II neue Gebäude mit modifizierten Brennöfen, ein neuer Industrieschornstein, ein Verwaltungsgebäude und eine Betriebsküche mit großzügigem Speiseraum.

 

1965 verließen Spaltplatten im Wert von 1,185 Mio Mark, Tonwaren und Haushaltsgeschirr für 162 000 Mark und Puppen im Wert von 292 000 Mark den VEB Steinzeugwerk Görzke. Das Exportgeschäft mit Puppen nahm bereits seinen Anfang.

 

1967 vollzog sich der Wechsel von bisher starrem Kunststoff für die Puppenkörper zu PVC-Weichplaste. Dafür gingen elektrischen Gelieröffen in Betrieb. Mit dem veränderten Material und durch das Einsteppen von Dederon-Kunsthaar mit den erstmals in Görzke verwendeten Haarsteppmaschinen erhöhte sich der Spielwert der Puppen wesentlich.

 

1968/69 erfolgte der Bau eines neuen Heizhauses und die Umstellung von Festbrennstoff- auf Ölfeuerung. - Da sich in jener Zeit der Anteil an Gelierteilen ständig erhöhte, setzte man leistungsstarke Blasautomaten (Typ BA 2) für die Produktion der Puppenkörper ein. Um diese Automaten vollständig auszulasten, begann 1972 die Herstellung von Plastikflaschen für Erzeugnisse der chemischen und kosmetischen Industrie.

 

Bis 1974 war die Zahl der Beschäftigten auf 208 angestiegen. Innerhalb der Puppenproduktion, insbesondere durch die Erhöhung des Exportanteils stieg auch die Zahl der Arbeitsplätze im Heimarbeiterbereich. Dies trug in Görzke und in den umliegenden Orten in vielen Familien wesentlich zur Verbesserung der Einkommenssituation bei.

 

Der Bedarf an getöpfertem Braungeschirr ließ zu Beginn der 1970er Jahre mehr und mehr nach, so daß diese Produktionsschiene 1972 endgültig eingestellt werden mußte. Wesentlichen Anteil daran, hatte der Einzug diverser Kunststoffprodukte in die privaten Haushalte. Die Brennöfen konnten für die Spaltplatten weiter genutzt werden, da hier der Bedarf ständig anstieg.

 

Bereits rund zehn Jahre später belebte sich die Nachfrage an Tonwaren erneut, die nun mehr und mehr in die Richtung Zierkeramik führte. Nach einigen Rekonstruktionsmaßnahmen und Neubauten in Werk I nahm die neue Töpferei 1982 ihre Arbeit auf.

 

Mit Wirkung vom 1. Januar 1980 wurde der VEB (B) Ziegelkombinat Potsdam mit allen seinen Betriebsteilen, also auch dem in Görzke, dem VEB Kombinat Bau- und Grobkeramik Halle angegliedert. Seit diesem Zeitpunkt lautete der vollständige Firmenname „VEB Ziegelwerke Zehdenick, Betrieb des VEB Kombinat Bau- und Grobkeramik, Betriebsteil Steinzeugwerk Görzke“

 

Im Januar 1988 wurde dem Betrieb die Berechtigung zuerkannt, ein international registriertes Warenzeichen zu führen. Gleichzeitig erhielt die Herkunftsangabe der Produkte „Keramik aus Görzke“ und „Puppen aus Görzke“ patentrechtlichen Schutz.

 

Das Ende der DDR und des bisherigen Wirtschaftssystems läutete in großen Schritten auch das Ende des Betriebes ein. Der, ab 1990 unter der Firma „Steinzeugwerke Görzke GmbH“ geführte Betrieb, produzierte bis zur Einstellung aller Arbeitsbereiche im Jahr 1992 vier Finalerzeugnisse: Spielwaren, Zier- und Gebrauchskeramik, glasierte Baukeramik und geblasene Hohlkörper.

 

Seit dem 26. Mai 1992 befand sich der gesamte Betrieb in Liquidation. Damit verloren nicht nur die meisten der ehemals über 200 Beschäftigten, darunter ca. 50 Heimarbeiter, endgültig ihre Arbeitsstellen, auch Görzke mußte den Verlust eines maßgeblichen Wirtschaftsfaktors hinnehmen. (Fortsetzung folgt)

 

Jürgen Bartlog

 

 

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Nachrichten aus der Görzker Geschichte

 

 

Sandmann-Puppen

made in GDR, in Görzke

 

 

“Görzker Sandmännchen – An der Wiege einer sehr bekannten Fernsehfigur ...“

 

… lautete die Überschrift eines Artikels der Märkischen Volksstimme vom 17. November 1979: „Tausendfach jährlich kommt es aus den volkseigenen Steinzeugwerken Görzke, das vom Kinderfernsehen bekannte Sandmännchen. Seit über 15 Jahren wird es dort nämlich aus Weichplaste originalgetreu geformt. Freude also immer wieder für viele Kinderherzen!  Damals hatte das Fernsehen zu dieser Produktion die Lizenz erteilt.“

 

Bevor wir uns aber den späteren Jahren zuwenden, in denen der 18 cm große Görzker Sandmann in zunehmend größerer Anzahl hergestellt wurde, begeben wir uns zurück in die Anfangsjahre. 1963 war „die Messeneuheit der Görzker, das mit Genehmigung des Deutschen Fernsehfunks hergestellte „Sandmännchen“. In- und ausländische Geschäftsleute zeigten für das Görzker Produkt großes Kaufinteresse. Allein eine westdeutsche Firma möchte 6000 „Sandmännchen“ bestellen. Die Görzker müssen nun überlegen, welche Möglichkeiten sie zur Deckung des Bedarfs haben.“

 

Der Übergang von der Modellentwicklung zur Serienfertigung erfolgte 1964. Am 01. März 1964 konnte man über „Neue Erzeugnisse der Steinzeugwerke“ lesen: „Der VEB (K) Steinzeugwerke Görzke hat im vergangenen Jahr nicht nur die Produktion von Klinkerspaltplatten aufgenommen, sondern auch in der Puppenabteilung zwei neue Erzeugnisse entwickelt, die dieser Tage in die Serienfertigung gehen. Es handelt sich um das durch den Deutschen Fernsehfunk populär gewordene Sandmännchen und um eine neue 21 cm große Puppe. Die Entwürfe für die Bekleidung beider Erzeugnisse stammen von Kollegin Margarete Müller.“

 

Während 1965 ausschließlich für den Binnenhandel 10 000 Sandmännchen angeboten wurden, entwickelte sich die Neuheit schnell auch zu einem im Ausland gefragten Artikel. - Im Ergebnis der Leipziger Frühjahrsmesse 1972, bei der die Görzker Steinzeugwerke neben dem Sandmann mit rund dreißig verschiedenen Puppenmodellen vertreten waren, stand ein Vertrag mit schwedischen Kunden über die Lieferung von 80 000 Sandmännchen.

 

„Gehen wir aber dem Schwedenvertrag noch etwas gründlicher nach. Wie kam es dazu? Was will bzw. was soll der Sandmann in Schweden? Nun, ganz einfach. Auch dort soll er allabendlich die kleinen Erdenbürger in den Schlaf schicken. Das schwedische Fernsehen tut dies seit einigen Monaten mit dem Abendgruß des Deutschen Fernsehfunks aus der DDR. Diese Sendung hat sich auch in Schweden in kürzester Zeit die Sympathie Tausender kleiner und großer Kinder erobert. Hier liegt die Ursache für die große Nachfrage in Schweden nach dem Sandmännchen aus Görzke, das die Schweden liebevoll „Johnblund“ nennen.“ (Märkische Volksstimme)

 

Im gleichen Jahr erfolgten umfangreiche Lieferungen von Sandmann-Puppen nach Finnland. Kurz vor Weihnachten orderte man kurzfristig zusätzlich 3000 Stück, der in Finnland „Nukomatti“ genannten Puppe.

Die Erfolgsgeschichte dieser Görzker Erzeugnisse läßt sich über Jahre hinweg fortlaufend weiterschreiben und in einem einfachen Satz zusammenfassen: „Hübsche Puppen, darunter auch das beliebte Sandmännchen, werden in der Abteilung Puppenproduktion im VEB Steinzeugwerk Görzke in hoher Stückzahl für das Inland, aber auch für den Export hergestellt. Beliebt sind diese Puppen nicht nur bei Kindern, sondern auch als Souvenir.“ (Märkische Volksstimme, 15.05.1985)

 

Die Planvorgabe für 1986 schreibt 750 000 Puppen fest. Sie verlassen in vielen verschiedenen Ausstattungen den Betriebsteil Werk I in der Reetzer Straße 2; unter ihnen natürlich der Sandmann. Sie alle nehmen ihren Weg in die deutschen Kinderzimmer in Ost und West, sie reisen bis nach Belgien, Finnland, Frankreich, nach Schweden und in die Niederlande. Der größte Exportanteil im Wert von rund  1,5 Millionen Mark geht 1986 aber in die Sowjetunion. Ungefähr in gleicher Höhe liegt der summierte Anteil der Warenlieferungen in alle anderen sozialistischen Staaten.

 

Doch die guten Nachrichten und die Erfolgsmeldungen aus dem Steinzeugwerk enden mit dem Niedergang der DDR. - Die Gesellschafter der Steinzeugwerke Görzke GmbH sehen sich am 26. Mai 1992 gezwungen, die Liquidation des Betriebes zu veranlassen, und es trifft viele - nicht nur Betriebsangehörige - in Görzke und Umgebung hart, lesen zu müssen:

 

„Görzker Puppen in der Abwicklung.

 

In der Puppenproduktion des ehemaligen Görzker Steinzeugwerkes waren einmal 40 Arbeitnehmer beschäftigt, 50 Heimarbeiter hat es außerdem gegeben. Wie die MAZ von der Beauftragten des Liquidators … erfahren hat, wurde noch längere Zeit für Firmen aus den alten Bundesländern Lohnarbeit verrichtet, doch es sei zu teuer produziert worden, so daß sich die Auftraggeber zurückgezogen hätten.

 

Das beziehe sich auch auf zeitweilig geäußerte Kaufabsichten für den Betrieb. Man sei mit den Produkten einfach nicht mehr auf den Markt gekommen.Es sei ebenfalls der Markt im Ostblock, einschließlich GUS, verlorengegangen. Immerhin 60 Prozent der Produktion sind einmal dorthin exportiert worden.

 

Aus diesen Gründen sei die Liquidation nicht zu umgehen gewesen. Es ist zur Zeit keiner bereit, den Betrieb zu kaufen. Für den Maschinenpark soll es schon ausländische Interessenten, u.a. aus der GUS, geben. Verträge seien aber auch noch nicht unterschrieben. Gemeinsam mit der Außenstelle der Treuhand in Potsdam bemühe sich der Liquidator, diese Verträge so schnell wie möglich unter Dach und Fach zu bringen.“ (Märkische Allgemeine Zeitung, 07.09.1992)

 

Was bleibt, ist mehr als nur die Erinnerung daran, daß die Görzker Sandmann-Puppen ihrem Fernseh-Kollegen vielleicht ein wenig dabei geholfen haben, europaweit bekannt zu werden. Als Spielzeug und als Souvenir erhielten sie hier im Ort tausendfach ihre Ausstattung für den langen Weg in die weite Welt. Görzker ließen sie das Licht der Welt erblicken und sie trugen Kleidung aus hiesiger Produktion. Den Namen ihres Entstehungortes Görzke haben sie, aufgedruckt auf die Verpackungen, in viele Länder hinausgetragen.

 

Dies alles, zusammen mit dem Umstand, daß sie unendlich vielen Kindern zur Schlafenszeit in den Kinderzimmern Gesellschaft geleistet haben, macht die einst hier erzeugte Sandmann-Puppe zu einer wahrhaft berühmten Görzker Persönlichkeit.

 

Jürgen Bartlog

 

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Nachrichten aus der Görzker Geschichte

 

 

Erinnerungen an die Kindheit

Teil 1

Gertrud Wegener, 1905 - 1993

 

 

Bekanntlich nehmen Kinder ihre Umwelt mit anderen Augen wahr als Erwachsene. Ihre, meist noch ohne auf besondere Ziele ausgerichteten Beobachtungen des Alltags, bleiben in der Regel außerhalb heimatgeschichtlicher Betrachtungen und sind oft dazu verurteilt, der Vergessenheit anheim zu fallen.

 

Dem entgegenzuwirken, leisten frühe Tagebuchaufzeichnungen oder in späteren Jahren notierte Kindheitserinnerungen einen Beitrag. Auch Schulaufsätze mit zeitgenössischer Themenstellung sind, selbst bei einfachster Ausdrucksweise aussagekräftige Ergänzungen der Berichte Erwachsener über längst vergangene Zeiten.

 

Die Sicht des Kindes auf seine Umwelt, in dem Moment, wenn es als Schüler, allein und ohne den Einfluß anderer seine Gedanken zu einem Aufsatzthema in Worte fassen muß, lenkt unseren Blick auf die kleinen, aber doch bemerkenswerten Dinge des Alltags, die dem Erwachsenen als nebensächlich erscheinen mögen, gerade weil sie eben „alltäglich“ sind.

 

Gertrud Wegener verbrachte ihre Kindheit als Tochter eines Handwerksmeisters in sicheren, wohlgeordneten Verhältnissen. Ihr Vater, Tischlermeister Wilhelm Wegener warb für seinen Betrieb mit den Leistungen „Bau- und Möbeltischlerei, Sarg-Magazin, mit elektrischem Betrieb, Breite Straße 133“ (1927). - Im späteren Berufsleben war Gertrud Wegener viele Jahre, auch während der Zeit des zweiten Weltkrieges und in den Nachkriegsjahren, Sekretärin des Görzker Bürgermeisters. - Die ersten der nachfolgenden Aufsätze entstanden im Alter von neun Jahren, in der für viele Kinder heilen Welt in der Zeit des Kaiserreiches.

 

 

Auf unserem Bahnhofe. (16. Mai 1914)

 

Wenn ich nach dem Bahnhof komme, sehe ich erst den Güterbahnhof. Dort sah ich mehrere Wagen mit Töpfen beladen. Die Leute waren dabei, die Tonwaren in den Bahnwagen zu laden. Hinter den Geleisen ist der Maschinenschuppen, wo die Maschinen des Nachts reinkommen. Kurz vor der Abfahrt des Zuges kommen die Briefträger mit dem Postwagen, um die Postsachen abzugeben. Der Zugführer pfeift dann, und der Zug fährt ab. (Note: 2)

 

 

Warum ich mich gestern gefreut habe. (August 1914)

 

Gestern Abend um 6 Uhr bekamen wir eine freudige Nachricht. Die deutschen Truppen hatten bei Metz viel tausend Franzosen und Geschütze gefangen genommen. Da war hier in Görzke eine große Freude. Die Leute steckten die Fahnen aus den Häusern. Und viele sangen Deutschland, Deutschland über alles. Bei Metz haben wir über die Franzosen gesiegt. Der Feind weicht zurück. Er wird von unseren Truppen verfolgt. Es sind viel Gefangene gemacht worden. Das ist recht. Ich freue mich. Der erste große Sieg. Bei Metz haben wir über die Franzosen gesiegt.

(Anm. J.B.: Das Deutsche Kaiserreich trat am 1. August 1914 in den Krieg ein. Erste vorübergehende Eroberungserfolge stellten sich sehr bald in Belgien und Frankreich ein.)

 

 

Wie wir uns über unsere Siege freuten. (August 1914)

 

Ich war in der Handarbeitstunde. Da kam die Nachricht, daß die deutschen Truppen wieder gewonnen hatten. Wir freuten uns alle. Die Stunde wurde sofort geschlossen. Dann machten wir einen Umzug und dabei sangen wir Deutschland, Deutschland über alles.

 

 

Als die Soldaten hier waren. (3. November 1914)

 

Vor einigen Wochen waren hier Soldaten einquartiert. Sie waren drei Wochen hier. Wir hatten zwei Mann. Sie marschierten des Morgens früh nach Altengrabow, um dort zu schießen. Wenn sie wiederkamen, mußten sie ihre Gewehre reinigen. Sie stellten sich vor unsere Tür, um dann die Gewehre zu zeigen. Manchmal hatten sie auch des Abends Übungen. Eines Tages waren etliche bei uns und haben die Seitengewehre geschliffen. Den letzten Tag bekamen sie noch allerlei Sachen. Des Abends um 9 Uhr marschierten sie nach Altengrabow. Dann fuhren sie mit der Bahn in Feindesland. (Note: Gut)

 

Steinölnot. (9. Januar 1915)

 

Weil jetzt der Krieg ist, ist das Steinöl sehr knapp. Wenn die amerikanischen Schiffe nach Deutschland hinwollen, so lassen die Engländer sie nicht durch. Sie nehmen dann das Steinöl weg, dadurch ist es sehr knapp. Kommt der Steinölwagen, dann rennen die Leute mit ihren Kannen zum Kaufmann, um sich dann wieder ein wenig zu holen. Geht man des Abends auf den Straßen, so merkt man, daß die Straßenlampen nicht brennen. Viele Leute, die kein Steinöl mehr haben, gebrauchen Lichter. Darum muß man sich mit dem Öle sehr einrichten. (Note: Gut)

(Anm. J.B.: Erst die Elektrifizierung des Ortes in den 1920er Jahren löste die Beleuchtung der Wohn- und Arbeitsräume mittels flüssiger Brennstoffe, Kerzen u.ä. ab.)

 

 

In der Weihnachtsausstellung. (9. Dezember 1915)

 

Da das Weihnachtsfest schon nahe ist, werden in vielen Kaufläden die Weihnachtssachen ausgestellt. Wenn man an die Schaufenster kommt, sieht man schon etliche darin stehen. Dieselben hat der Weihnachtsmann da hineingetragen. Artige Kinder bekommen Sachen davon, unartige bekommen eine Rute. Ich habe mir auch schon die Weihnachtssachen angesehen. Es waren schöne Sachen da, wie Puppen, Kriegslesebücher mit Bildern und noch mehr Spielsachen und Wäscherei. Am besten gefielen mir die Puppen. Ich wünsche mir für meine Puppe ein Himmelbett. Dann möchte ich noch einen Schlitten und warme Socken haben. (Note: Ziemlich Gut)

 

 

Unsere Lampe. (11. Januar 1916)

 

Wir haben eine Petroleumlampe. Wenn die Lampe schön hell brennen soll, muß sie jeden Tag zurecht gemacht werden. Zuerst wird die Glocke und der Zylinder abgenommen. Der Zylinder wird mit einem Zylinderputzer sauber gemacht. Der Docht wird mit der Schere gerade geschnitten. Auch wird der Brenner reingemacht. Nun wird das Öl in den Behälter hineingegossen. Unsere Lampe wird des Sonnabends mit Sidol geputzt. Jetzt im Kriege brennen unsere Lampen nicht so hell, denn wir bekommen nicht so schönes Öl.

 

 

Unser Schlachtefest. (7. Februar 1916)

 

Morgen schlachten wir. Des Morgens um acht Uhr kommt der Fleischer. Am Tage vorher scheuert die Mutter den Kessel, und ich muß alles vom Kaufmann holen. Morgens früh macht die Mutter das Feuer an. Wenn der Schlächter das Schwein schlachtet, so bindet er das Schwein zuerst mit einem Stricke fest. Dann schägt er es mit einem Beile vor den Kopf, so daß es betäubt ist. Dann sticht es der Fleischer unter dem Halse. Die Mutter fängt das Blut in einer Schüssel auf. Das Schwein wird dann in die Brühwanne gelegt und mit kochendem Wasser übergossen, damit die Borsten abgehen. Dann wird das Schwein zerteilt und die Därme werden heraus genommen. Manches Fleisch wird gekocht, das andere wird zu Gehacktes gemahlen. Dann wird das Gehackte in die sauberen Därme gestopft. So wird es auch mit der anderen Wurst gemacht. Am liebsten esse ich die Bratwurst und den Schinken. (Note: Gut)

 

 

Was ich von der Brotkarte weiß. (16. Februar 1916)

 

Da unser Brot von einer Ernte zur anderen Ernte reichen soll und die Leute sich auch einrichten sollen, bekommen wir jetzt im Kriege Brotkarten. Dieselben werden am 16. jeden Monats ausgegeben. Auf der Brotkarte sind Zahlen gedruckt, die angeben, wieviel Pfund Brot oder Mehl wir erhalten. Die Personen von 6 Jahr an bekommen eine ganze Karte, die kleinen Kinder eine halbe. Wenn wir Brot holen wollen, müssen wir jedesmal 4 Marken abschneiden und sie beim Bäcker abgeben. Viele Leute holen sich für die Karten Mehl und backen sich ihr Brot selbst.

 

 

Das eiserne Kreuz. (22. Februar 1916)

 

Das eiserne Kreuz ist ein Orden. Im Kriege erhalten es viele Soldaten zur Belohnung für ihre Tapferkeit. Es gibt eiserne Kreuze erster und zweiter Klasse. Dieselben sind aus Eisen. Das eiserne Kreuz sieht schwarz aus, ringsherum sind dünne silberne Streifen. Oben am eisernen Kreuze ist eine Krone. In der Mitte ist ein W. und unten steht die Jahreszahl 1914. Das eiserne Kreuz erster Klasse trägt der Soldat an der linken Seite. Das eiserne Kreuz zweiter Klasse trägt der Soldat an einem schwarz-weißen Bande und wird am Knopfloch befestigt.

 

Jürgen Bartlog

 

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Nachrichten aus der Görzker Geschichte

 

 

Erinnerungen an die Kindheit

Teil 2

Gertrud Wegener, 1905 - 1993

 

 

Mein liebstes Spielzeug. (25. Februar 1916)

 

Mein liebstes Spielzeug ist meine Puppe. Ich habe für sie zu Weihnachten ein weißes Himmelbett bekommen. Nun spiele ich fast alle Tage damit. Meine Puppe hat ein weißes Kleid an. Ich ziehe sie auch öfter an und aus und wasche und kämme sie. Auch nähe und sticke ich für dieselbe allerlei Sachen. Wenn schönes Wetter ist, setze ich sie in den Wagen und fahre sie draußen. Dann kommen nch mehrere Mädchen mit ihren Wagen. Wir fahren dann zusammen spazieren. Wenn es dunkel wird, fahren wir wieder nach Hause und ich lege meine Puppe in ihr Bett. (Note: Gut)

 

 

Der Milchwagen kommt. (13. März 1916)

 

Morgens um halb 10 Uhr kommt der Milchwagen. An dem Wagen ist eine Klingel. Wenn der Milchwagen da ist, so klingelt der Milchmann an der Klingel. Dann kommen die Leute mit ihren Töpfen und Eimern. Manche Leute wollen auch Butter holen. Ich habe auch schon öfter Milch geholt. Als ich hin kam, sagte ich: „Ich möchte ein Liter Milch holen.“ Der Milchmann nahm eine Schraube heraus und drehte den Hahn auf und die Milch floß in ein Litermaß. Dann goß er sie in meinen Topf. Ich gab ihm das Geld und trug meine Milch nach Hause. (Note: Gut)

 

 

 

Wie arbeitet der Dampfpflug. (2. Mai 1916)

 

Gestern haben wir uns den Dampfpflug angesehen. Wo der Acker anfängt und aufhört, stand eine Dampfmaschine. Der Dampfpflug wird durch Dampf getrieben. An der Dampfmaschine ist ein langer Seil befestigt, der zieht den Dampfpflug. Wenn der Pflug oben ankommt so wird er gedreht und die Maschine fährt ein Stückchen vor. Auf dem Dampfpflug sitzen zwei Männer die lenken. So arbeitet der Dampfpflug.

 

 

Meine Ferien. (22. August 1916)

 

Am 19. Juli bekamen wir Ferien. Es waren die Ernteferien. Viele Kinder mußten bei den Erntearbeiten helfen. Ich habe auch in den Ferien bei mancherlei Arbeit geholfen. Als wir unseren Roggen harkten, habe ich auch den Roggen zu kleine Bunde geharkt. Dann habe ich sie in Mandeln helfen zusammentragen. Als wir unsern Roggen vom Felde holten, habe ich den Rest, wo die Mandeln standen, zusammengeharkt. Dann hab ich ihn in der Scheune abladen helfen. Andere Tage bin ich nach dem Walde gegangen und habe Steinpilze und Pfefferlinge gesucht. Dann habe ich auch einige Tage bei meinen Großeltern Kirschen gepflückt. Manche Tage habe ich mit meinen Freundinnen gespielt. Wenn es sehr warm war, bin ich zum Baden gegangen. So verlebte ich meine Ferien.

 

 

Unser Leben im 3. Kriegsjahre. (1916)

 

Wir befinden uns jetzt im 3. Kriegsjahre. Die Feinde, die uns zerquetschen wollten, haben wir geschlagen. Es sind die Engländer, Russen, Franzosen, Belgier, Serben, Italien und der letzte Feind ist Rumänien. Da sie sehen, daß sie uns nicht besiegen können, wollen sie uns aushungern. Darum müssen wir uns jetzt einrichten. Unser Hauptfeind ist England. Wir bekommen nicht mehr so viel Butter. Die Semmel und das Brot bekommen wir auf Marken. Die Marken werden jeden 16. des Monats ausgegeben. Auch das Fleisch bekommen wir jetzt auf Marken. Die Marken werden am Freitagabend ausgegeben. Da in Deutschland nicht viel Kupfer gewonnen wird, mußten wir unsern Kupferkessel und alles was sich aus Kupfer befindet, abgeben. Auch alle Gummisachen müssen wir abgeben. Sie werden zu Mobilen und Rädern für die Soldaten benutzt. Die Obstkerne, von welchen Öl gemacht wird, sammelten wir in der Schule. Auch Blech sammeln wir. So ist unser Leben im 3. Kriegsjahre.

 

 

Unsere Lebensmittel im Kriege. (20. Juli 1918)

 

Da nun schon ziemlich vier Jahre Krieg ist, so müssen wir uns mit allem sehr einrichten. Es wird uns darum alles auf Marken zugeteilt. Wir müssen damit ausreichen was uns unser Land an Nahrungsmitteln darbietet. Im Frieden hatten wir schönes weißes Brot, jetzt aber ist es schwärzer. Um damit länger zu reichen, bäckt man zwischen das Brot Kartoffeln. Es fehlt uns auch die Butter und das Schmalz. Dafür dient zum Aufschmieren die Marmelade. Diese wird aus allerlei Früchten hergestellt. Auch mangelt es uns an Fleisch. Leute, die nicht geschlachtet haben, bekommen nur einmal in der Woche und sehr wenig etwas. Das Ei ersetzt uns darum das Fleisch. (Anmerkung des Lehrers: Wer welche hat!) Wir bekommen auch keine Vollmilch. Dafür müssen wir uns mit Magermilch begnügen. Statt des Bohnenkaffees bereiten wir uns den Kaffee aus Kaffeeersatz. (Anmerkung des Lehrers: sehr gesund) Auch bekommen wir keinen Kakao mehr. Aus allerlei Blüten wird Tee hergestellt. Der Wald tut uns auch großen Nutzen, denn dorther holen wir uns viele Mahlzeiten, so wie die Pilze und Heidelbeeren. (Note: Gut)

 

 

Die Getreideernte (19. August 1918)

 

Wenn die Getreideernte beginnt, ziehen schon frühmorgens Schnitter und Schnitterinnen hinaus aufs Feld. Sind sie dort angekommen, so erblickt man, wie die Schnitter die Arbeit aufnehmen. Mit scharfer Sense durchfährt er die wogenden Halme. Dann beginnt auch die Arbeit der Schnitterin. Mit ihrer Harke harkt sie die Halme zu Haufen zusammen. Einen solchen Haufen nennt man Bund. Nun werden die Bunde mit Stroh zusammengebunden. Und so geht es bis zum Mittag. Jetzt sucht sich jeder einen schattigen Fleck. Dort verzehren sie dann ihr Essen. Nach einer Weile wird die Arbeit unter Gesang wieder angetreten. Auf manchen Feldern wird mit einer Maschine gemäht. Wenn nun der Abend naht, so machen alle Feierabend. Nun werden die Wege lebendig. Es kommen große Wagen mit Korn beladen. Darauf hocken Frauen und Kinder. Auf manchen Feldern stehen auch schon Mandeln. In diesem Jahre ist diese Ernte besser ausgefallen als im vorigen Jahre. Dieses tut auch Not, denn es mangelt uns sehr an Brot. (Note: 2/3)

 

 

Wie es vor dem Kriege in Deutschland aussah. Erinnerungsbild. (4. November 1919)

 

Wenn wir noch einmal auf das Leben vor dem Kriege zurückblicken, so müssen wir doch sagen: Wie schön war damals die Zeit. Wie gut haben es die Leute gehabt. Sie konnten bei den Festen alle gemütlich zusammen sein. Durften reisen, wann sie wollten und gehen, wohin sie wollten. Damals konnten sie vom Kaufmann holen was sie brauchten. Wie schön schmeckten immer die schöne Schokolade und Bonbon, die uns die Mutter oft mitbrachte, und wie saftig und schön waren die Apfelsinen. Es kostete damals alles nur wenige Pfennige. Wie weiß war vor dem Kriege das Brot gewesen und wie schön war es, wenn uns der Semmelausträger jeden Morgen die Semmeln und Schrippen ins Haus brachte. Damals bekam man alles ohne Marken. Wenn man zum Kohlenhändler ging, konnten wir uns Kohlen bestellen, soviel man haben wollte. Das Bestellte bekam man dann noch ins Haus geliefert. Aber das Beste bei alledem war, die Ware war riesig billig. Man brauchte vor dem Kriege nicht zu frieren. Kein Mensch brauchte vor dem Kriege so viel Marmelade zu essen. Da konnte man sich kaufen, so viel man haben wollte. Die Züge gingen alle, es war kein Zug eingstellt. Wir lebten wie in einem Schlaraffenland und wie gern erinnern wir uns an diese Zeit, und wie oft wünscht man, daß diese schöne Stunden bald wiederkehren.

 

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Alle von Gertrud Wegener erstellten Texte wurden in Sütterlinschrift ausgefertigt; in sehr korrekter, säuberlicher Schreibweise. Sütterlin war Schulanfängern in Preußen bindend ab 1915 als Schreibschrift zu lehren. Da diese deutsche Schrift den internationalen Verkehr erschwerte, erging 1942 ein Verbot, und eine Variante lateinischer Schrift trat an die Stelle der Sütterlin.

 

Einige der Aufsatzhefte beginnen chronologisch nicht wie üblich mit dem ersten Aufsatz auf der ersten Seite, sondern auf den letzten Heftseiten. Offensichtlich hatte der Lehrer angewiesen, mit der neuen Überschrift jeweils zwei bis drei Seiten vor dem zuletzt geschriebenen Aufsatz zu beginnen, womit er praktischerweise den zu erreichenden Umfang für den neuen Text festlegte.

 

Leerzeilen zwischen einzelnen Übungen, Diktaten oder Aufsätzen erscheinen nur selten. Das Gebot jener Zeit lautete: konsequente Sparsamkeit.

 

Jürgen Bartlog